Ich will einmal Buchschreiberin werden. Papa meint, das
heißt Autorin oder auch Schriftstellerin.
Nun heute bin ich 6 Jahre alt und gehe in die erste Klasse Volksschule.
Kennst du eine Frau , die 16 mal und 4 Jahre dazu, älter ist als ich? Ich schon: das ist meine Urgroßmutter, meine Urli, sie wird 100 Jahre alt! Sie ist die Oma meiner Mama und die Mama meines Opas! Ist das schwer zu verstehen? Für mich nicht!
Sie ist nicht in einem Krankenhaus auf die Welt gekommen! Sie ist in einem Zimmer im Haus ihrer Eltern geboren. Sie wurde sofort getauft und heißt bis heute Auguste. Dieser Name hat ihr nie gefallen! Auch ihre Freundinnen hatten Bubennamen aus denen Mädchennamen gemacht wurden: Rudolfine aus Rudolf und Ernestine aus Ernst!
Meine Urli hat nie auf einem Spielplatz gespielt, so mit Kletterturm, Rutsche und Seilbahn! Sie liebte ihre Wiese und die Apfelbäume hinter ihrem Haus. Bei jedem Wetter durfte sie hinaus! Bei schönem Wetter waren ein kleiner Ball und die Springschnur ihre Spielsachen. Heute kann sie natürlich nicht mehr Schnurspringen! Barbie-Puppen hat sie nicht gekannt – wenn ich meine zum Spielen bei ihr mitbringe, schüttelt sie darüber nur den Kopf und lacht! Meine Urli hatte eine Porzellanpuppe mit lockigem Haar. Die Arme und Beine der Puppe hatten Gelenke. So konnte die Puppe alleine sitzen! Es war eine „ Schlafpuppe“, meint Urli, d.h. die Puppe konnte die Augen auf und zu machen!
Zum Anziehen gab es nur „Selbstgenähtes“ – meine Urli hatte keine T-Shirts und Jeans und durfte auch nicht selber die Anziehsachen aussuchen! Statt einer Strumpfhose gab es ein Leibchen, das hinten zugeknöpft wurde. An beiden Seiten waren lange Gummibänder mit Knopflöchern für die Knöpfe, die an ihren dicken schwarzen Strümpfen seitlich angenäht waren.
Gebadet wurde nur alle 2 Wochen, dabei wurde auch der Kopf gewaschen. Nach dem Haareabtrocknen wurde mit „Pferdefett“ aus einer kleinen Dose die Kopfhaut sorgfältig eingerieben. Urlis Mama meinte, da würden die Haare schneller wachsen und schön glänzen!
Dann erinnert sich Urli noch ein bisschen an ihre 1. Schuljahre! Sie hatte keine so bunte große Schultasche wie ich – ihr „Schulranzen“ – so sagt sie – war aus braunem Leder. Urli hatte auch noch keine Hefte und mehrere Bücher! Sie schrieb und rechnete auf einer Schiefertafel mit „Griffeln“! Diese waren in einer Holzschachtel, der „Griffelschachtel“! In einer kleinen Dose war der Schwamm zum Abwischen der Tafel. Dieser musste immer schön feucht sein! Ein Tafeltüchl hatte sich auch! Die Jause war extra in einer Umhängetasche.
Meine Urli ist zu Fuß in die Schule gegangen. Ihre Eltern hatten kein Auto. Es gab nur zwei , drei oder vier Autos in dem Ort, wo Urli zu Hause war. Flugzeuge hat sie mit 6 Jahren gar nicht gekannt! Urli meint, dass auf ihrem Schulweg immer was los war! Das stimmt sicher, denn auch ich geh`ja zu Fuß in die Schule!
An ihre 1. Lehrerin kann sich Urli erinnern: es war eine Klosterschwester, die hatte ein kleines dünnes Stöckchen mit dem sie die Kinder berührte, die ihren Griffel beim Schreiben nicht richtig hielten. Manchmal tat diese Berührung auch weh!
Ich weiß nun doch ein bisschen über die Zeit, in der meine Urli so alt war wie ich – jetzt ist es doch anders! Immer weniger kann Urli mir erzühlen, denn sie wird von Besuch zu Besuch müder!
Aber ihren 100. Geburtstag wollen wir lustig feiern. Am 26.Februar 2006 ist es soweit!
Von Lena erzählt, zum Lesen verfasst von Ursula, Weihnachten 2005
Ps. Frühjahr 2006: Nun kann Urli nichts mehr erzählen, sie ist 13 Tage vor ihrem 100sten Geburtstag verstorben.
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